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Warum MINT inspiriert
Geschäftsführer Dr. Ekkehard Winter über das kreative Element in den MINT-Fächern
Dass es in der Mathematik nicht allein auf logisches Denkvermögen und die Fähigkeit zur Abstraktion ankommt, sondern in gleichem Maß auf Ideenreichtum, Originalität und Fantasie, hört man ja immer wieder. Richtig wahrgenommen habe ich den kreativen Zauber des Fachs allerdings erst im Zuschauerraum eines Theaters. Und dieses Theater war nicht etwa als Ausweichquartier für eine Mathematik-Vorlesungsreihe angemietet worden, wie es heutzutage ja häufiger geschieht, wenn marode Hochschulgebäude zu Sanierungszwecken geschlossen werden müssen. Nein, es war bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen und gegeben wurde „A Disappearing Number“, ein Stück über den genialen indischen Mathematiker Srinivasa Ramanujan, das auch dessen Mathematik und insbesondere den Begriff des Unendlichen beeindruckend in Szene setzt. Für mich ein echtes Erweckungserlebnis.
Wie toll das wäre, habe ich mir damals gedacht, wenn Schülerinnen und Schüler im Unterricht einen ähnlich kreativen Umgang mit dem Fach erleben und dadurch selbst zu kreativeren Menschen werden könnten. Doch ich fürchte, der Fokus von Schule liegt immer noch viel zu selten auf der Entwicklung dieser wichtigen Zukunftskompetenz. Eine Einschätzung, mit der ich nicht alleine bin, wie letztes Jahr eine repräsentative Befragung der Telekom-Stiftung ergeben hat. Nur jeder Zehnte war darin der Meinung, dass im Schulfach Mathematik die Kreativität von Kindern und Jugendlichen gestärkt werde. Kaum besser fiel das Ergebnis auch für die übrigen MINT-Fächer aus – also für Informatik, die Naturwissenschaften und Technik. Gerade einmal zwischen 23 und 30 Prozent der Befragten schätzten sie als kreativitätsfördernd ein. MINT-Unterricht und Kreativität – das passt aus Sicht der breiten Bevölkerung offenbar nicht wirklich zusammen.
Welche dieser Fähigkeiten benötigen Kinder Ihrer Meinung nach, um gut auf die Zukunft vorbereitet zu sein?
Kenntnisse in Mathematik 48,1% Kenntnisse in Informatik 49,5% Kenntnisse in Naturwissenschaften 51,2% Sprachkompetenzen (Deutsch, Fremdsprachen) 75,0% Medienkompetenz 49,0% Technisches Fachwissen 39,4% Kritisches Denken 76,9% Kreativität 53,2% Weiß nicht / Keine der Genannten 2,0% Mehrfachantwort möglich | Stat. Fehler Gesamtergebnis: 2,5% | Stichprobengröße: 5.003 | Befragungszeitraum: 27.10.22 - 02.11.22 | Mittelwerte Quartale
Quelle: Deutsche Telekom Stiftung & Civey
Die wenigsten MINT-Lehrkräfte nutzen das kreative Potenzial ihrer Fächer aus
Dabei sind es, abgesehen vom musisch-künstlerischen Bereich, doch gerade die MINT-Disziplinen, denen das kreative Element gewissermaßen inhärent ist. Man denke nur an die Kunst der mathematischen Beweisführung, die ja per se ein kreativer Akt ist. In der Chemie geht es darum, aus verschiedenen Stoffen neue Verbindungen zu kreieren. Auch das Ersinnen von Experimenten und Versuchsaufbauten in Biologie, in Physik oder im Ingenieurwesen erfordert Schaffenskraft. Und wer schon einmal einem Softwareentwickler bei der Arbeit über die Schulter geschaut hat, der weiß, dass man ohne Fantasie und Ideenreichtum in diesem Beruf nicht weit kommt.
Leider nutzt jedoch nur eine Minderheit der Lehrkräfte dieses kreative Potenzial ihrer Fächer voll aus. Und daran hat sich in den vergangenen 18 Jahren, in denen ich als Geschäftsführer der Telekom-Stiftung tätig war, auch nicht allzu viel geändert. Stattdessen werden die MINT-Disziplinen vielfach weiterhin nach altem Muster unterrichtet, sprich: eher auf Faktenwissen konzentriert, theorieorientiert und formelbasiert, mit „Kochbuch-Experimenten“, deren Design und Ergebnisse exakt vorgegeben sind. Das fördert weder die schöpferische Kraft noch die Motivation der Schülerinnen und Schüler. Mit dem Ergebnis, dass Mathe, Physik & Co. bei vielen unbeliebt sind und – auf lange Sicht – die MINT-Fachkräftelücke weiter wächst. Dabei könnte ein kreativ-ästhetischerer Angang der Fächer das glatte Gegenteil bewirken. Ich habe da immer John-Luke Ingleson vor Augen, einen Physik- und Kunstlehrer aus Frankfurt am Main, mit dem die Stiftung in verschiedenen Projekten kooperiert. Ingleson sagt von sich selbst, er wisse manchmal gar nicht so genau, welches der beiden Fächer er gerade unterrichte, so stark vermische er die Inhalte miteinander. Dann lässt er seine Schülerinnen und Schüler zum Beispiel Joseph Beuys’ berühmte „Capri-Batterie“ nachbauen, die gelbe Glühbirne, die ihre Energie aus einer Zitrone bezieht, und erklärt ihnen daran den Stromkreislauf. Oder bastelt mit ihnen Mobiles als angewandte Beispiele für Gleichgewichtskraft und Hebelwirkung.
In welchen dieser Schulfächer wird Ihrer Meinung nach Kreativität gefördert?
Sprachen (Deutsch, Fremdsprachen) 21,2% Gesellschaftswissenschaften 15,5% Kunst 71,0% Musik 54,4% Mathematik 10,3% Informatik 23,6% Naturwissenschaften 28,0% Technik 30,1% Weiß nicht / In keinen der Genannten 12,8% Mehrfachantwort möglich | Stat. Fehler Gesamtergebnis: 2,5% | Stichprobengröße: 5.001 | Befragungszeitraum: 27.10.22 - 02.11.22 | Mittelwerte Quartale
Quelle: Deutsche Telekom Stiftung & Civey
Selbstbestimmtheit setzt Kreativität frei
Für das, was John-Luke Ingleson da macht, gibt es sogar einen Begriff: STEAM. Dabei wird das Akronym STEM (Science, Technology, Engineering, Mathematics) als englische Übersetzung von MINT um ein A ergänzt, das für „Arts“ steht, also die schönen Künste. Der Ansatz kommt aus den USA; als Stiftung versuchen wir, ihn immer stärker zu beherzigen. So sind in unserem Projekt Die Zukunft des MINT-Lernens im zurückliegenden Jahr beispielsweise mehr als 20 digital gestützte Lernumgebungen entstanden, die einen hoch kreativen MINT-Unterricht ermöglichen. In den Vorhaben Design Thinking in der Bildung und Moonshot Edu haben wir darüber hinaus Lehrkräfte und Lernbegleitende an außerschulischen Lernorten in Kreativitätstechniken fortgebildet, sodass sie diese in ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen einsetzen können.
Apropos außerschulische Lernorte: Dort – also in Makerspaces, Jugendzentren, Repariercafés, Bibliotheken etc. – funktioniert das kreative MINT-Lernen heute schon besser als in der Schule. Was sicher damit zusammenhängt, dass Kinder und Jugendliche dort frei wählen können, womit sie sich beschäftigen. Einen festen Lehrplan gibt es nicht, Leistungs- und Prüfungsdruck auch nicht. So viel Selbstbestimmtheit setzt offenbar Kreativität frei. Kann sich Schule davon etwas abgucken? Unbedingt!
Für die Telekom-Stiftung steht daher auch in Zukunft die Förderung von Kreativität in ihren MINT-Projekten ganz oben auf der Agenda – egal, ob die Vorhaben ihren Fokus in der Schule oder außerhalb haben. Begleiten und vorantreiben wird diese Themen dann mein Nachfolger als Geschäftsführer, Jacob Chammon, der im Sommer den Staffelstab von mir übernimmt. Für diese wunderbare Aufgabe, die mich fast zwei Jahrzehnte meines Lebens begleitet hat, wünsche ich ihm schon jetzt alles erdenklich Gute – und viel kreative Schaffenskraft.
In welchen außerschulischen Einrichtungen / Aktivitäten wird Ihrer Meinung nach die Kreativität von Kindern am stärksten gefördert?
Museen 9,2% Bibliotheken 18,8% Jugendclubs 12,9% Vereinen 44,5% Theater 31,9% Spielen von Musikinstrumenten 55,9% Malkurse 29,2% In anderen 8,8% Weiß nicht 10,2% Mehrfachantwort möglich | Stat. Fehler Gesamtergebnis: 2,5% | Stichprobengröße: 5.003 | Befragungszeitraum: 27.10.22 - 02.11.22 | Mittelwerte Quartale
Quelle: Deutsche Telekom Stiftung & Civey
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Fotos: Marcel Kusch, Davids/Sven Darmer, Technische Universität Kaiserslautern, Frank Peter, Konrad Fersterer/Siemens Stiftung, privat
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