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So ein Theater!
Spannender Unterricht zum Thema künstliche Intelligenz gelingt spielerisch, wenn Lehrkräfte kluge Materialien und Konzepte an der Hand haben. Denn das unbefangene Lernen im Klassenzimmer weckt nicht nur Lernfreude und Kreativität, sondern auch die Lust aufs Mitgestalten.
Im Klassenraum des Gymnasiums Theodorianum in Paderborn schieben sich Bretzel, Salami, Banane und weitere Lebensmittel vorsichtig aneinander vorbei. Mittendrin steht Schülerin Nergis und dirigiert das Geschehen. Sie hat sich als Einzige kein großes Stoffschild mit einem aufgedruckten Nahrungsmittel und Nährwertdaten umgehängt. Denn eine Person muss im Theaterstück „Apfel oder Popcorn – frag doch die KI“ die Fäden in der Hand halten. Nergis verteilt rote und grüne Mützen an die anderen, um sie als eher empfehlenswert oder nicht empfehlenswert zu kennzeichnen, und ordnet sie: „Wir sortieren jetzt alle Lebensmittel nach dem Wert Kilokalorien und finden einen guten Schwellenwert zwischen den empfehlenswerten Lebensmitteln und den nicht empfehlenswerten Nahrungsmitteln heraus.“
Mit dem Theaterstück führen die Sechstklässler am Tag der offenen Tür ihrem Publikum vor, wie durch Sortierprozesse und Gruppenbildung aus vielen Daten ein Entscheidungsbaum entsteht. Diese in der künstlichen Intelligenz (KI) häufig genutzte Methode klassifiziert Dinge, indem sie sie in Kategorien zusammenfasst. Die Sechstklässler haben diese Methode schon verinnerlicht. Vieles in dem Stück haben sie selbst geschrieben. Das berichtet Sven Hüsing, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Paderborn: „Die Schülerinnen und Schüler haben das Script von meiner Kollegin Susanne Podworny gelungen um einige Aspekte und Sonderrollen ergänzt, um das KI-System und seine Entwicklung noch differenzierter darzustellen.“
» Die Schülerinnen und Schüler haben das Script gelungen ergänzt, um das KI-System noch differenzierter darzustellen. «
Sven Hüsing,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität PaderbornNeue Unterrichtskonzepte für die Schule
So viel Kreativität für ein Thema, das viele für undurchsichtig und schwer zu vermitteln halten? Das fällt auf. Und diese Gestaltungslust zeigt sich längst nicht nur in diesem Theaterstück, sondern auch im Informatikunterricht, wo am Theodorianum zum Beispiel in der Oberstufe KI-basierte Apps entstehen. Die Jugendlichen gestalten sie als Gruppe selbst, nach eigenen Ideen und aus eigenem Antrieb. Jüngst entstand so zum Beispiel eine Anwendung, die wichtige Gesten der Gebärdensprache in geschriebene und gesprochene Wörter übersetzt.
Möglich macht dieses außergewöhnliche Lernangebot das Projekt Data Science in der Schule. Die Deutsche Telekom Stiftung entwickelt darin seit 2018 gemeinsam mit Fachleuten der Mathematik- und Informatikdidaktik der Universität Paderborn neue Unterrichtskonzepte für die Schule. Die Partner bringen Schülerinnen und Schülern auf diese Weise Datenanalyse und künstliche Intelligenz nahe, aber auch Datenbewusstsein und wichtige Zukunftskompetenzen wie Kreativität.
Vorhang auf: Szenen aus dem Theaterstück
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Zunächst war die Lehrerin etwas skeptisch, ob Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 5 und 6 das komplexe Thema überhaupt schon richtig begreifen. Doch dann entstand 2022 das Daten-Kartenspiel „Apfel oder Popcorn?“ mit Begleitmaterialien für diese Altersgruppe. Es ist die Vorlage für das im Namen leicht veränderte Theaterspiel „Apfel oder Popcorn – frag doch die KI!“ und vermittelt die besagten Entscheidungsbäume. Aus Sicht von Annika Löhr funktioniert das erstaunlich gut: „Ich habe bei diesem Kartenspiel das ein oder andere Aha-Erlebnis bei den Kindern fast schon herausgehört – also mitbekommen, dass da gerade der Groschen gefallen ist.“
» Ich habe bei diesem Kartenspiel das ein oder andere Aha-Erlebnis gemerkt. «
Annika Löhr,
Lehrerin am TheodorianumIdeenreichtum fördern
Rolf Biehler, Mathematikprofessor an der Universität Paderborn, freut sich darüber: „Wir wollen den Sekundar- und Oberstufenschülerinnen und -schülern ganz gezielt einen Einblick in den Maschinenraum der KI geben, wie wir immer sagen.“ Deshalb hatte das Projekt für das Wissenschaftsjahr 2019 bereits ein anderes Spiel entwickelt: „Mensch, Maschine!“ Die Spielenden können mit dem Brettspiel Runde für Runde erleben, wie der Lernfortschritt der künstlichen Intelligenz immer größer wird – und so nachvollziehen, wie sich menschliches Denken von der Arbeitsweise der Maschine unterscheidet. Solche Erkenntnisse sind wertvoll, denn sie fördern auch das kritische Denken, eine wichtige Zukunftskompetenz. Rolf Biehler kritisiert, dass viele Lernangebote, gerade von großen Playern wie Google, maschinelles Lernen bloß als undurchsichtige Attraktion vermitteln. Sie erklärten nicht die Abläufe und Technologie, die dahinterstecken.
Auch die Kreativität bleibt dabei auf der Strecke, was aus Sicht der Telekom-Stiftung und ihrer Partner nicht sein darf. Deshalb integriert das Projekt laut Carsten Schulte, Professor der Informatikdidaktik, ganz bewusst auch offene Fragestellungen in seine Materialien: „Wir fördern den Ideenreichtum schon alleine dadurch, dass wir den Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten geben, selbst mitzugestalten.“
Nergis schiebt im Klassenzimmer beim Theaterspiel die nach Energiewert sortierten Nahrungsmittel zwischen Brötchen und Bretzel auseinander und entwickelt ihre erste Entscheidungsregel: „Alle, die bei 280 Kilokalorien und darunter liegen, sind eher empfehlenswert.“ Das Brötchen hat es gerade noch so geschafft.
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Fotos und Video: Sascha Kreklau
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