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Tablet stattTafel
Die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft macht auch vor den Schulen nicht halt. Doch ist die Kreidezeit dort wirklich vorbei? Die Studie „Schule digital – Der Länderindikator“ zeigt den Entwicklungsstand in den Bundesländern, wie Lehrkräfte ihn beurteilen. Ein Blick auf die Ergebnisse aus der Sicht der Studienleiterin und eines stellvertretenden Schulleiters.
Auf gut 1.000 Schüler kommen am Gymnasium Wermelskirchen 280 Tablets und noch einmal die gleiche Anzahl an Laptops und Computern. Das macht circa ein Gerät für zwei Schüler. Damit ist die städtische Schule im Rheinisch-Bergischen Kreis gut aufgestellt. Zumindest für eine solche Bildungseinrichtung in Nordrhein-Westfalen. Denn dieses Bundesland ist in Sachen Digitalisierung nur im Mittelfeld unterwegs – überholt etwa von Bayern oder Schleswig-Holstein, die vergleichsweise weit fortgeschritten sind. Das zeigt die Studie „Schule digital – Der Länderindikator“, die mit Unterstützung der Deutsche Telekom Stiftung von der Technischen Universität Dortmund erstellt wird.
Die im Sommer 2021 durchgeführte Erhebung liefert zum vierten Mal in Folge Erkenntnisse zum digitalen Lehren und Lernen an den Schulen der Sekundarstufe I in Deutschland. „Dazu haben wir bundesweit 1.500 Lehrkräfte befragt - nicht nur zum Stand der IT-Ausstattung“, berichtet Studienleiterin Dr. Ramona Lorenz vom Institut für Schulentwicklungsforschung an der Technischen Universität Dortmund. Auch die Nutzung digitaler Medien im Unterricht sowie die Einstellung der Lehrkräfte zum Digitalen standen im Fokus der repräsentativen Befragung. Zudem wollten die Wissenschaftler wissen: Haben Investitionsmaßnahmen wie der Digitalpakt von Bund und Ländern zu Verbesserungen geführt? Und inwiefern fördern die Lehrkräfte bei ihren Schülern bewusst digitale Kompetenzen?
» Deutschland ist im internationalen Vergleich noch nicht anschlussfähig. Doch es hat sich einiges getan. «
Ramona Lorenz,
StudienleiterinCorona als Motor
„Die Ergebnisse geben zwar die subjektive Sicht der Befragten wieder. Doch diese Selbsteinschätzung ist letzten Endes ja auch ausschlaggebend dafür, wie Lehrkräfte in ihrem Unterricht agieren“, sagt Lorenz. „Trauen sie sich zu, digitale Medien einzusetzen?“ Bei vielen ist das offenbar der Fall: 73,3 Prozent geben an, mindestens einmal wöchentlich digitale Medien zu verwenden – ein deutlicher Zuwachs im Vergleich zur Erhebung 2017. Auch bei den selbst eingeschätzten medienbezogenen Kompetenzen zeichnet sich insgesamt ein positiver Trend ab.
Damit sei Deutschland im internationalen Vergleich zwar immer noch nicht anschlussfähig. „Doch es hat sich einiges getan – auch dank Corona“, so Lorenz. „Auch an unserer Schule hat die Pandemie einen Schub gegeben“, bestätigt Martin Burghoff, stellvertretender Schulleiter am Städtischen Gymnasium Wermelskirchen. Neben der technischen Ausstattung betreffe das vor allem die Einstellung der Kollegen gegenüber dem Einsatz digitaler Werkzeuge. „Wir haben während des Lockdowns viel ausprobiert und schulinterne Fortbildungen gemacht“, so Burghoff. „Heute hinterfragt eigentlich niemand mehr, digitale Lehr- und Lernmittel zu nutzen.“
Prozent
der Lehrkräfte nutzen regelmäßig digitale Medien im Unterricht.Prozent
der Lehrkräfte glauben, dass der Einsatz digitaler Medien die Leistungen der Schüler verbessert.Neue Konzepte
Was der Pädagoge und seine Kollegen dagegen immer wieder hinterfragen: an welchen Stellen der Einsatz digitaler Medien sinnvoll ist. „Hauptsache digital darf nicht das Motto sein. Wir schauen, wie wir das Digitale in unsere Vorstellung von Schule einbringen können – sodass die Schüler wirklich einen Nutzen davon haben.“ Neben ausgewiesenen Tablet-Klassen gibt es am Gymnasium auch Geräte zum Ausleihen und somit viele Möglichkeiten, neue Herangehensweisen zu erproben. Zum Beispiel Bewegungsanalysen im Sport mithilfe selbst gedrehter Videos. Oder die Visualisierung komplizierter biologischer Prozesse. „In vielen Fällen kann das Arbeiten mit dem Tablet oder anderen Geräten nützlich sein, das Verständnis erleichtern und die Lernfreude steigern“, meint Burghoff. „Aber mitunter darf ruhig auch die Kreidetafel herhalten.“
Ebenfalls zum sinnvollen Einsatz gehört für Burghoff, Risiken im Zusammenhang mit digitaler Technik zu thematisieren. „Da geht es um Mediensucht, Cybermobbing oder rechtliche Aspekte“, erklärt er. Nicht nur in Wermelskirchen machen sich schulische Akteure immer mehr Gedanken zu dem Thema. „Medienkonzepte sind heute mehr als eine reine Auflistung vorhandener Technik. Die Konzepte werden ausführlicher und füllen sich mit didaktischen Ansatzpunkten“, berichtet Lorenz.
Dennoch bescheinigt der Länderindikator auch hier Entwicklungsbedarf: So haben längst nicht alle Schulen ein Medienkonzept. Und längst nicht alle Lehrkräfte fördern gezielt computer- und informationsbezogene Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern: nach eigener Aussage nur 56,4 Prozent. „Hier hat sich im Vergleich zur letzten Studie kaum etwas getan“, so Lorenz. Martin Burghoff räumt ein: „Auch wir könnten sicherlich noch mehr tun. Etwa Programmieren in den Mathe- oder Physikunterricht einbinden.“
» Die Schulen haben technisch aufgerüstet. Aber bei den wenigsten gibt es einen IT-Hausmeister, der Geräte und Netzwerke professionell wartet. «
Martin Burghoff,
stellvertretender SchulleiterProzent
der Befragten halten die IT-Ausstattung an ihren Schulen für ausreichend.Ausgebremst durch Ausstattung und Internet
Doch ist jedes noch so gute Konzept zum Scheitern verurteilt, wenn es an Grundlegendem fehlt: funktionierenden Geräten oder einer zuverlässigen Internetverbindung zum Beispiel. Knapp die Hälfte der Lehrer bewertet die IT-Ausstattung an ihrer Schule als nicht ausreichend, auch wenn sie in einzelnen Punkten Verbesserungen sehen. „Beim Internet herrscht ebenfalls wenig Zufriedenheit, gerade bei den externen Anknüpfungsstellen wie der Breitbandanbindung“, berichtet Lorenz.
„Das ist ein Riesenproblem“, meint auch Burghoff. Als während der Pandemie teils aus der Ferne, teils im Klassenzimmer unterrichtet wurde, musste er regelmäßig Kollegen ins heimische Büro schicken. Sie hätten mit ihren Schalten in die Kinderzimmer der Schüler sonst das Netz lahmgelegt. Eine weitere Baustelle aus seiner Sicht ist der technische Support. „Die Schulen haben in den letzten zwei Jahren technisch aufgerüstet. Aber bei den wenigsten gibt es einen IT-Hausmeister, der Geräte und Netzwerke professionell wartet.“ An der Wermelskirchener Schule kümmern sich aktuell sieben Kollegen darum. „Die machen das zum Großteil on top zu ihren sonstigen Aufgaben“, sagt Burghoff. „Hier müssen wir dringend andere Modelle finden, zum Beispiel technisch versierte Kollegen massiv entlasten.“
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„Dank unserer Studie wissen wir, was schon gut klappt und woran es noch hapert“, schließt Lorenz. „Nun muss man schauen: Wie können die Schulen aktiv auf ihrem weiteren Weg unterstützt werden?“ Das könnten Investitionen in Technik sein, aber auch Fortbildungsangebote.
Bei Letzterem hilft auch das Engagement der Telekom-Stiftung – unter anderem beim Deutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathematik. Das organisiert Fortbildungen und stellt kostenlos Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, um zu zeigen, wie man die Potenziale digitaler Medien im Mathematikunterricht nutzen kann. Auch das Forum Bildung Digitalisierung, in dem sich die Stiftung mit sieben weiteren großen Stiftungen engagiert, will neue Konzepte für das Lernen in der digitalen Welt entwickeln. Die Früchte dieser Arbeit zeigen sich hoffentlich spätestens in einer nächsten Ausgabe des Länderindikators.
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Fotos und Videos: Sascha Kreklau, Marcel Kusch
© 2024 Deutsche Telekom Stiftung