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„Wir haben viel Kreativität gesehen“
Vorsitzender Dr. Thomas de Maizière und Geschäftsführer Dr. Ekkehard Winter stehen Rede und Antwort zur Entwicklung der Telekom-Stiftung im Coronajahr 2020 und geben einen Ausblick auf die Pläne in diesem Jahr.
Seit gut einem Jahr steht die Vision eines funktionierenden Bildungs-Ökosystems für 10- bis 16-Jährige im Fokus der Stiftungsarbeit. Wenn Sie Bilanz ziehen: Sind Sie der Vision 2020 ein Stück näher gekommen?
DE MAIZIÈRE: Grundsätzlich ist es natürlich so, dass viele unserer Projekte leider wegen Corona nicht wie geplant stattfinden konnten oder nur eingeschränkt umgesetzt wurden – also zum Beispiel mit weniger Teilnehmern. Trotz allem haben wir viel Kreativität und Engagement in den Bildungseinrichtungen gesehen und das fand ich bewundernswert. Es gab viel Kooperationswillen und das ist es, was wir im Bildungs-Ökosystem anstreben. Insgesamt hat die Digitalisierung der Bildung einen großen Schub bekommen und wir konnten mit unseren Vorhaben dazu beitragen. So haben wir unter anderem Materialien für den Unterricht mit digitalen Medien bereitgestellt und Onlineseminare für Lehrkräfte unterstützt. Das waren aus meiner Sicht beachtliche Anfangserfolge bei der Umsetzung unserer neuen Strategie.
WINTER: Meiner Meinung nach hätte die Pandemie einen wirklich neuen Blick auf das Bildungssystem ermöglicht. Es wurde aber leider fast ausschließlich über die Herausforderungen für Schulen berichtet, kaum über die der außerschulischen Lernorte wie Jugendhäuser oder Bibliotheken. Die gehören für uns zu einem funktionierenden Bildungs-Ökosystem dazu, kommen aber bei den Verantwortlichen in der Bildungsadministration zu kurz.
Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?
DE MAIZIÈRE: Es geht um Zuständigkeiten. Kinder und Jugendliche empfinden alle Orte, an denen sie leben und lernen als großes Ganzes: das Zuhause, die Schule, den Verein, das Jugendhaus. Die Übergänge sind hier fließend. Von außen ist es aber so, dass jeweils andere Institutionen, Organisationen oder Behörden für diese Orte zuständig sind. Dieses Denken und Arbeiten in Zuständigkeiten erschwert echte Kooperation. Als Stiftung wollen wir hier im Interesse der 10- bis 16-Jährigen Schranken überwinden und appellieren an alle, mehr Kooperationsbereitschaft an den Tag zu legen.
Viele Bildungseinrichtungen haben seit dem Frühjahr 2020 nur eingeschränkt arbeiten können. Was bedeutet das Ihrer Meinung nach für den Bildungsstandort Deutschland?
WINTER: Positiv gesehen, hat die Krise sicher viel bewegt. Wir haben es eben schon angesprochen. An vielen Stellen sind kreative Lösungen für Distanz- oder Hybridangebote entstanden. Das waren aber eher Initiativen einzelner Fach- und Lehrkräfte oder besonders fortschrittlicher Bildungseinrichtungen. Leider gab und gibt es an anderer Stelle noch zu viel Skepsis, was digitale Medien angeht. Hier können wir in jedem Fall vom Ausland lernen. Dänemark oder auch Estland sind mit ihren Bildungssystemen deutlich weiter und damit auch besser durch die Krise gekommen. In Deutschland wird sicher die Schere zwischen Bildungsgewinnern und -verlierern weiter aufgehen.
„Wir wollen im Sinne der 10- bis 16-Jährigen Schranken zwischen den Bildungsorten überwinden.“
Dr. Thomas de Maizière
Dr. Thomas de Maizière ist seit November 2018 Vorsitzender der Telekom-Stiftung.
Welche Schlüsse sollte die Bildungspolitik aus der Krise ziehen? Wie zielführend ist in Zukunft der Bildungsföderalismus?
DE MAIZIÈRE: Zunächst sollte die Politik – aber auch die Praxis – den Schluss ziehen, dass es bei der Frage Präsenz- oder Distanzunterricht kein Entweder-oder geben darf. Aus unserer Sicht ist die Einbindung digitaler Medien kein Notbehelf, sondern immer klug …
WINTER: … und das vor allem im MINT-Unterricht. Hier gibt es bereits jede Menge Konzepte, die Augmented Reality, Virtual Reality oder sogar künstliche Intelligenz nutzen und gerade den MINT-Unterricht bereichern können. In unserem Projekt Die Zukunft des MINT-Lernens zeigen wir das eindrucksvoll. Die Ergebnisse veröffentlichen wir im Herbst.
DE MAIZIÈRE: Ich greife das Stichwort Bildungsföderalismus auf. Der wird nicht erst seit Corona heftig diskutiert und diese Diskussionen werden in der kommenden Legislaturperiode sicher weitergehen. Meiner Meinung nach muss aber nicht nur das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, sondern auch die Steuerung innerhalb der Länder betrachtet werden. Warum etwa gibt es unterschiedliche Ansprechpartner für innere und äußere Schulangelegenheiten? So sind die Länder für die Lehrkräfte zuständig, die Kommunen aber für andere Professionen in der Schule wie die IT-Administratoren. Hier sind aus meiner Sicht Reformen erforderlich. Das ist für mich ein Thema, das die Politik dringend angehen muss.
WINTER: Ich stimme Ihnen zu. Die Länder denken zu sehr an den eigenen Sprengel und an althergebrachte Zuständigkeiten. Stiftungen sind hier ganz anders unterwegs. Wir und andere zeigen, dass Lernen auch lateral über Ländergrenzen hinweg erfolgreich organisiert werden kann. Nehmen Sie das Deutsche Zentrum für Lehrerbildung Mathematik. Hier haben Hochschulen aus ganz Deutschland sehr erfolgreich zusammengearbeitet, um die Fort- und Weiterbildung von Mathematiklehrkräften voranzubringen. Aus unserer Sicht ist dieses Konstrukt eine hervorragende Blaupause für die jetzt von Bund und Ländern geplanten Kompetenzzentren für digitalen Unterricht.
„Die Schere zwischen Bildungsgewinnern und -verlierern wird weiter aufgehen.“
Dr. Ekkehard Winter
Seit Februar 2005 ist Dr. Ekkehard Winter Geschäftsführer der Telekom-Stiftung.
Wir haben viel über das Bildungssystem während Corona gesprochen. Welche Folgen hat die Pandemie konkret für die Telekom-Stiftung?
DE MAIZIÈRE: Zunächst sind wir extrem dankbar, dass wir keine Projekte vorzeitig beenden oder sogar Beschäftigte entlassen mussten, obwohl die Erträge natürlich auch bei uns zurückgegangen sind. Da sind wir in einer glücklicheren Situation als andere Stiftungen. Wir haben die Coronazeit genutzt, um zum Beispiel über Studien und Umfragen weitere Erkenntnisse für unsere geplanten Aktivitäten zu sammeln. So haben wir eine Umfrage unter Jugendlichen zu deren Lernverhalten gestartet. Ziel war es, die Situation unserer Zielgruppe besser einschätzen und Schlüsse daraus ziehen zu können. So wissen wir jetzt beispielsweise, dass die Technik zwar ein Problem, aber nicht das zentrale Problem ist, wenn es um erfolgreichen Distanz- oder Hybridunterricht geht.
WINTER: Darüber hinaus hatten wir sogar Möglichkeiten, um an einigen Stellen direkt auf die Situation zu reagieren und finanzielle Unterstützung zu leisten. So haben wir schon im April in Bonn dem dortigen MakerSpace unter die Arme gegriffen. Mit unserer Hilfe wurden in Bonn und Umgebung Jugendhäuser, aber auch Altenheime kostenlos mit Mund-Nase-Masken versorgt. Auch unsere Stipendiaten konnten wir wie geplant unterstützen, was für viele eine große Erleichterung war.
Was wünschen Sie sich für dieses Jahr? Wo stehen das Bildungssystem und die Telekom-Stiftung Ende 2021?
DE MAIZIÈRE: Die Telekom-Stiftung hat sich vor über zwei Jahren für eine strategische Neuausrichtung entschieden. Nachdem wir vorher ausschließlich mit Institutionen und Multiplikatoren gearbeitet hatten, sprechen wir inzwischen auch junge Menschen direkt an. Hier sind wir mit Qapito, einem Vorhaben zur Stärkung der Nachrichten- und Quellenkompetenz, unterwegs. Ein weiteres Projekt wollen wir noch dieses Jahr starten. Auf diese Ideen positive Resonanz von 10- bis 16-Jährigen zu bekommen, das würde ich mir wünschen. Und auch, dass es uns gelingt, das Engagement der jungen Menschen wieder in die Institutionen zurückzubringen, indem zum Beispiel das Thema Desinformationen im Unterricht oder in Workshops in Bibliotheken behandelt wird. Es wäre schön, wenn die bildungspolitische Debatte sich in Zukunft nicht immer nur um Schule dreht, sondern auch außerschulische Aspekte eine Rolle spielen. Dafür setzen wir uns ein.
„Die Digitalisierung der Bildung hat einen großen Schub bekommen.“
Dr. Thomas de Maizière
WINTER: Ich wünsche mir, dass wir als Stiftung weitere Kooperationen anregen können. Denn um das Bildungssystem stetig zu verbessern und unsere Vision eines Bildungs-Ökosystems Realität werden zu lassen, braucht es viele Kräfte. Mit dem Forum Bildung Digitalisierung und auch dem Nationalen MINT Forum – um nur zwei zu nennen – haben wir schon bedeutende Initiativen auf den Weg gebracht beziehungsweise unterstützt. Für mein Gefühl können es gern noch mehr werden.
Unser Bildungs-Ökosystem
Die Grafik zeigt eine Auswahl von Lernorten, Lernbegleitern und Lernenden, mit denen wir die Vision eines Bildungs-Ökosystems erarbeiten. Sie zeigt auch, welche fachlichen und überfachlichen Kompetenzen uns wichtig sind. Auf den folgenden Seiten lernen Sie drei Projekte kennen, wo Bildungs-Ökosysteme im Kleinen funktionieren.
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