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Neue Wege gehen
Vor 20 Jahren machte sich die Deutsche Telekom-Stiftung auf, die MINT-Bildung zu verbessern. Was hat sie seitdem erreicht – und warum ist ihr Engagement heute wichtiger denn je? Im Gespräch mit Wegbegleitern.
Einmal mit einem Segelkutter in See stechen! Wenn Schulleiter Arthur Bierganz an die ersten Jahre mit der Junior-Ingenieur-Akademie denkt, kommt ihm sofort dieser eine Moment in den Sinn: „Als wir damals das Boot mit den Schülern zu Wasser gelassen haben – das war ein echtes Highlight, das allen im Gedächtnis geblieben ist.“ Das Besondere: Zuvor hatten die Schüler den Kutter selbst renoviert, im Rahmen der Unterrichtsreihe Holzverarbeitung im Wahlpflichtfach Technik. Die Junior-Ingenieur-Akademie, kurz JIA, war eines der ersten Projekte, die die Deutsche Telekom Stiftung nach ihrer Gründung 2003 ins Leben rief – und das Inda-Gymnasium in Aachen eine der ersten Schulen, die dabei waren.
Was macht eigentlich ein Schreiner, was ein Ingenieur? In enger Zusammenarbeit der Schulen mit Unternehmen und Hochschulen führt die JIA praxisnah an technische Themen heran, macht MINT-Berufe greifbar. Die Schüler des Inda-Gymnasiums lernten anfangs nicht nur mit Holz umzugehen. Sie besuchten auch die Labore eines Leuchtmittelherstellers, konstruierten Roboter und vieles mehr. „Die Kinder müssen Lösungen für ein echtes Problem finden und am Ende kommt ein Produkt heraus. Das macht den JIA-Unterricht aus“, erklärt Arthur Bierganz. „Bevor wir mit der JIA gestartet sind, kamen ingenieurwissenschaftliche und technische Aspekte nur sporadisch auf dem Stundenplan vor. Jetzt sind sie ein fester Bestandteil unseres Angebots.“ Die Resonanz und Begeisterung sei bis heute groß: „Wir haben regelmäßig mehr Anmeldungen als Plätze – mindestens die Hälfte davon von Mädchen.“
1Junior-Ingenieur-Akademien konnten mit Unterstützung der Stiftung an Schulen bundesweit sowie im Ausland gegründet werden.
„Eine einmalige Dynamik“
Dass sich das Augenmerk der Stiftung von Anfang an auf Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik richtete, war kein Zufall. Zu Beginn stand eine Idee, die der ehemalige Außenminister und erste Stiftungsvorsitzende Dr. Klaus Kinkel an die Führungsriege der Deutschen Telekom AG herantrug: Ein so großer Konzern könne der Gesellschaft mit einer gemeinnützigen Stiftung viel zurückgeben. Die MINT-Bildung rückte bei den Gesprächen zu möglichen Wirkungsfeldern dann rasch in den Fokus. „Schließlich hatte Deutschland große Probleme in diesem Bereich“, erinnert sich Professor Sigmar Wittig, Vorstandsmitglied der ersten Stunde. „Es fehlten Fachkräfte, das Interesse für diese Fächer war bei jungen Leuten gering – und dann kam auch noch der erste PISA-Schock.“
Experten aus Bildung, Wissenschaft und Politik bestärkten das Gründungsteam, im MINT-Umfeld aktiv zu werden. Ein vergleichbares Engagement einer Stiftung existierte bis dahin hierzulande nicht – und thematisch passte es gut zu einem Technologie- und Telekommunikationsunternehmen wie der Deutschen Telekom. „Wir alle waren uns einig, dass das die richtige Stoßrichtung ist. Klaus Kinkel gelang es, diese Überzeugung ins Unternehmen hinein sowie nach außen zu tragen. Er hat nachhaltig für das Anliegen der Stiftung begeistert“, erinnert sich Sigmar Wittig. „So entstand eine einmalige Dynamik, die selbstverstärkend war“, meint der langjährige Rektor der Technischen Universität Karlsruhe.
1Millionen Euro hat die Stiftung in den 20 Jahren ihres Bestehens für ihre Projektarbeit aufgewendet.
Meilenstein Mathe-Fortbildung
Dass die Stiftungsarbeit immer mehr in Fahrt kam, dafür sorgte auch die Erhöhung der finanziellen Mittel: Sie wuchsen von zunächst 25 Millionen auf heute 150 Millionen Euro Grundkapital. Mehr als zehn Millionen Euro investierte die Telekom-Stiftung im Laufe der Jahre in einen besonderen Meilenstein ihrer Arbeit: die Gründung des Deutschen Zentrums für Lehrerbildung Mathematik (DZLM). Einer, der hautnah dabei war, ist Professor Jürg Kramer. „Das DZLM wurde 2011 ins Leben gerufen, aber die Idee entstand bereits in den Anfangsjahren der Stiftung“, erinnert sich der Mathematiker und spätere Gründungsdirektor des Zentrums. „Mit der Deutschen Mathematikervereinigung trafen wir uns damals in Bonn, um mögliche strategische Kooperationen mit der Stiftung auszuloten.“
Schon damals war klar, dass sich die Stiftung besonders um das oft vernachlässigte Fach Mathematik kümmern wollte – eine Disziplin, die für viele andere MINT-Fächer relevant ist. Wo aber ansetzen? „Es zeichnete sich ab, dass sich viele Lehrkräfte kaum weiterbildeten und man frischen Wind in die Fortbildung bringen musste. Die Telekom-Stiftung folgte schließlich der Empfehlung der Expertengruppe ‚Mathematik entlang der Bildungskette‘, die eine fundierte Bestandsaufnahme der Situation gemacht hatte“, berichtet Jürg Kramer. Die Idee: Die Kompetenzen von Lehrkräften durch gezielte Fort- und Weiterbildung im Fach Mathematik stärken. Und zwar mit Angeboten von einem bundesweit agierenden Hochschul-Netzwerk, das Wissen aus der Forschung, praktische Impulse und neue Materialien in die Bundesländer trägt.
Was als Stiftungsprojekt startete, ist inzwischen Teil des öffentlich finanzierten Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel. „Das DZLM macht heute Politikberatung auf höchster Ebene und ist die wichtigste Anlaufstelle für Mathe-Fortbildung. So eine Institution würde man sich auch für andere Fächer wünschen“, meint Jürg Kramer. Edelgard Bulmahn, ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, begleitete den Prozess als Kuratoriumsmitglied der Telekom-Stiftung: „Das Thema Lehrerbildung ist nur eines von vielen Beispielen, das zeigt: Die Telekom-Stiftung geht voraus! Ich habe die Arbeit des Teams immer als engagiert und innovationsfreudig erlebt. Damit hat es in 20 Jahren viel bewegt.“
1Lehrerinnen und Lehrer hat das Deutsche Zentrum für Lehrkräftebildung Mathematik unter Trägerschaft der Stiftung fortgebildet.
Langer Atem zum Erfolg
Oft war beim Vorausgehen Durchhaltevermögen gefragt. „Sowohl das DZLM als auch die JIA zeigen, dass es sich lohnt, einen langen Atem zu haben“, meint Dr. Ekkehard Winter, der die Stiftungsarbeit bis 2023 fast 20 Jahre lang als Geschäftsführer prägte. Der Lohn für langen Atem: Heute gibt es Junior-Ingenieur-Akademien in ganz Deutschland, und sogar an deutschen Schulen im Ausland. Viele Schulen führen die JIA nach der Anschubfinanzierung durch die Telekom-Stiftung selbstständig über Jahre weiter. Das DZLM hat sich als feste Institution im Bildungssystem etabliert und setzt aktuell das von der Kultusministerkonferenz (KMK) im Verbund mit 15 Bundesländern initiierte Programm „QuaMath“ um. Das Ziel: Lehrkräfte nach dem Train-the-Trainer-Prinzip bei der Weiterentwicklung ihres Mathematikunterrichts unterstützen. „Mit einem Projekt so in die Breite zu kommen und wahrgenommen zu werden, ist der maximale Erfolg, den eine Stiftung haben kann“, sagt Ekkehard Winter.
Zwei Jahrzehnte nach ihrer Gründung blickt die Stiftung auf etliche große und noch mehr kleine Erfolge zurück. Doch sie hat nicht nur Grund zum Jubeln: Der PISA-Vergleich 2023, aber auch andere nationale wie internationale Studien offenbaren, dass das deutsche Bildungssystem noch immer vor großen Problemen steht – ob fehlende Chancengerechtigkeit, Lehrkräfte- und MINT-Fachkräfte-Mangel oder die vielen Schülerinnen und Schüler, die nicht einmal die Mindestkompetenzen in Deutsch, Mathematik und den Naturwissenschaften erreichen. Hinzu kommen neue Herausforderungen, etwa rund um die Themen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. „Für all das gibt es keine einfachen, schnellen Lösungen. Veränderung braucht Zeit“, betont Jacob Chammon. Der ausgebildete Lehrer hat im August 2023 die Geschäftsführung von Ekkehard Winter übernommen. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Entwicklung einer neuen Stiftungsstrategie, angepasst an die Bildungsbedürfnisse von heute und morgen.
»Wir wollen für das Lehren und Lernen neue Wege gehen.«
Jacob Chammon, Geschäftsführer Deutsche Telekom-Stiftung
„Bildung besser machen“
Wohin die Reise in Zukunft gehen könnte, zeigt exemplarisch das Projekt DARIUS (Digital Argumentation Instruction for Science). Am IPN in Kiel entwickelt eine Forschergruppe um Dr. Thorben Jansen eine KI-gestützte Lernumgebung für den MINT-Unterricht, ermöglicht durch die Telekom-Stiftung. „Wir möchten damit die Vermittlung einer wichtigen Kompetenz fördern: Argumentieren“, erklärt Thorben Jansen. „Nur wer gelernt hat, eine begründete Position einzunehmen, kann an gesellschaftlichen Diskursen teilnehmen. Letztendlich geht es also um Teilhabe.“
Die digitale Lernumgebung schult naturwissenschaftliches Argumentieren am Beispiel des Themas Klimawandel: Soll die Politik Solaranlagen, Wasserkraft oder Windkraft fördern? Welcher Energieträger wäre der beste für Autos? Für das System haben die Wissenschaftler den Fortschritt im Bereich der Künstlichen Intelligenz mit schulspezifischem Fachwissen verknüpft: Sie trainierten Algorithmen mit einer Vielzahl von Texten aus dem Unterricht und dazugehörigen Beurteilungen. Anhand dieser Beispiele haben die Algorithmen gelernt, Argumentationen automatisiert auszuwerten und Feedback zu geben. „So kann eine ganze Schulklasse im Unterricht Rückmeldungen zu ihren Argumentationen erhalten – individuell, super ausführlich und sogar schon im Entstehungsprozess des Textes“, sagt Thorben Jansen. „Die KI soll Lehrkräfte nicht ersetzen, sondern sie in ihren Arbeitsprozessen unterstützen. Wenn Lehrkräfte dank KI mehr Schülerinnen und Schülern erreichen, dann kann der Unterricht davon profitieren“, ist der Forscher überzeugt. In einem nächsten Schritt wollen er und sein Team das Lerntool weitläufig in der schulischen Praxis implementieren.
Ob mithilfe Künstlicher Intelligenz oder einem selbst gebauten Schiff – das Anliegen der Stiftung ist heute noch das gleiche wie schon vor zwanzig Jahren. „Wir wollen für das Lehren und Lernen von MINT neue Wege gehen und die Bildung in Deutschland für alle Kinder und Jugendlichen besser machen“, sagt Jacob Chammon. Weiter geht’s!
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Fotos: Kay Herschelmann, Juergen Schwarz, Timo Wilke
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